Realexperiment als zentrale Methode des Verstehens und Gestaltens

Die Realexperimente erkunden und erproben nachhaltige Lösungsansätze mit dem Ziel, Transformationsprozesse zu aktivieren.

Zum Ursprung des Begriffs „Realexperiment“

Wesentliches Forschungsinstrument und methodischer Kern von Reallaboren sind Realexperimente (Schneidewind 2014b: 2; De Flander et al. 2014: 285; Wagner, Grunwald 2015: 27; WBGU 2016: 456). Im Gegensatz zu Experimenten in einem Labor, die unter kontrollierten Bedingungen stattfinden und reproduzierbar sind, greifen Realexperimente eines Reallabors unmittelbar in realweltliche Problemkontexte ein. Dabei werden Lösungsansätze von den beteiligten Akteuren gemeinsam und auf Augenhöhe verhandelt und experimentell erprobt.

„Das Konzept des Realexperiments geht von dem Normalfall aus, dass man relativ viel über das, was man nicht weiß, wissen kann, und dass das Ausprobieren der effektivste Weg ist, sich selbst zu korrigieren und weiterzukommen“ (Groß et al. 2005: 12). Realexperimente dienen gleichzeitig der Anwendung des vorhandenen Wissens und der Erzeugung neuen Wissens und bewegen sich in ihrer Umsetzung zwischen kontrollierten und situationsspezifischen Randbedingungen (vgl. Schneidewind, Scheck 2013: 241). Es handelt sich also um „wissenschaftlich begleitete Aktionen oder Interventionen“ (Alcántara et al. 2017: 26) bzw. andere experimentelle Settings, die am lebensweltlichen Alltag ansetzen und nachhaltigere Alternativen aufzeigen sollen. Ihr Ziel ist, Veränderungen in der Wahrnehmung und den Routinen der Menschen anzustoßen.

Einordnung von Realexperimenten in die Typologie des Experimentierens, nach Groß et al. 2005:19 mit Beispielen aus dem Stadtkontext von Schneidewind & Scheck 2013: 241

Das experimentelle Ausprobieren während eines zeitlich und räumlich begrenzten Realexperiments kann ein effektiver Weg beim Handeln unter Unsicherheit sein. Realexperimente mit innovativen Technologien, Infrastrukturen oder neuen Lebensstilen können und dürfen auch scheitern. Dabei geht es hier nicht um bloße Legitimation und Akzeptanz, sondern um aktive Partizipation und Kontroverse der Beteiligten und Betroffenen (vgl. Best, Roose 2014:3).

Markus Friedrich, Bauingenieur und Verkehrsplaner

„Jeder Mensch hat eine Vorstellung, wie die Welt funktioniert und was wir machen sollten, damit sie ein bisschen besser wird. Reallabore bringen Menschen aus unterschiedlichen Bereichen und Lebensphasen zusammen: Die Universität mit ihren Wissenschaftler:innen und Studierenden trifft auf Bürger:innen und Entscheider:innen aus Politik und Verwaltung. Alle bringen ihre Vorstellungen von einer wünschenswerten Zukunft, von Wirkungszusammenhängen und von notwendigen Veränderungen ein. Realexperimente und Visionsworkshops bieten für diese Vorstellungen einen Raum, der unkonventionelle Lösungen und einen gleichberechtigen Austausch von Ideen ermöglicht.“

 

Wirkung der Realexperimente

Die Realexperimente erkunden und erproben nachhaltige Lösungsansätze mit dem Ziel, Transformationsprozesse im konkreten lokalen Problemkontext zu aktivieren. Wie ein Realexperiment ablaufen kann, zeigt das "Reallabor für nachhaltige Mobilitätskultur" in Die Kultur des Experimentierens 2017:25. Wie lässt sich der Impact dieser Interventionen messen und beschreiben? Eine differenzierte Erfassung und Bewertung der Wirkungen, d.h. der beobachteten Veränderungen, sind äußerst schwierig. Sie sind aber wichtig, um die Potenziale, aber auch die Grenzen des Experimentierens und somit des Reallabor-Ansatzes zu verstehen. Die Forschung zu diesem Bereich ist noch im Aufbau, vor allem für die Analyse der gesellschaftlich-transformativen Wirkungen und der sozial-räumlichen Wirkeffekte werden unterschiedliche Modelle vorgeschlagen (Lüderitz et al. 2017; Bergmann et al. 2017; Stelzer et al. 2018; Lux et al. 2020; Lam et. 2021; von Wirth et al. 2019; von Wirth, Levin-Keithel 2020).

Fest steht, dass Realexperimente kurz- bis langfristige, intendierte und nicht-intendierte Wirkungen auf mehreren Ebenen entfalten können. „Im Vordergrund steht der Anspruch, dass die angestrebte Änderung einen Nachhaltigkeitsnutzen erfüllt und keine schädlichen Nebenwirkungen hat. (Die Kultur des Experimentierens 2017:26). Von der Konzeption bis zur möglichen Verstetigung orientieren sich Realexperimente an Kriterien, die für die Beschreibung und Evaluation eines Realexperiments sowohl aus der Perspektive der Wissenschaft als auch der Praxis relevant sind (Kuhn et al. 2018:60, zur Integration s. Lam et. 2021). 

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