Stadtregal im RNM 2

Ein Erfahrungsbericht

Zwischen ÖP und Paule | eine Einleitung in den sozio-räumlichen Kontext

BLICK 1 - Bis zum Frühjahr 2018 wurde der Raum unter der Paulinenbrücke von der Stadt Stuttgart an eine Parkplatzfirma verpachtet. Angeregt durch die Aktionen der Stadtlücken im Herbst 2016 hat die Stadt Stuttgart diesen Raum für zwei Jahre als Experimentierfeld geöffnet. (Experimentierfeld Österreichischer Platz 2018-2019, Projektbeschreibung von der Internetseite von Stadtlücken e.V.)

BLICK 2 - Da war da drüben der Platz, den haben sie zugemacht. Ganz früher war hier noch die Tanke. Die haben sie abgerissen. Als ich da war, war die Paule, waren da Bunker, da ist jetzt abgesperrt. Da waren zwei Toiletten, waren total versifft. Da waren die Junkies und haben die Spritzen runter geschmissen. Dann haben wir mal Sperrmüllmöbel organisiert und haben uns dort richtig gut eingerichtet. Mit Liege und mit Stuhl. Dann ist die Stadt gekommen und hat das wieder abgeräumt. (Transkribiertes Gespräch mit einem ehemaligen drogenabhängigen und obdachlosen Menschen am Österreichischen Platz - Platz nicht gleich Platz - Romina Vetter - Sommer 2019)

BLICK 3 - Der Österreichische Platz gilt bisher eher als Schandfleck denn als Wohlfühloase. Über eine andere Nutzung wurde in den letzten Jahren, gar Jahrzehnten, immer wieder nachgedacht. Geschehen ist nie etwas. (Nina Ayerle: Wem gehört die Stadt? - Stuttgarter Zeitung - 16.03.2017)

Begegnungen gestalten | eine Hypothese zur sozialen Wirksamkeit der Raumpraxis

Bestehend aus einer Notunterkunft, einer öffentlichen Küche und einer Leihlastenradstation fördert das Realexperiment „Stadtregal“ Begegnung unterschiedlicher Gesellschaftsgruppen. Das temporäre Stadtmöbel ist im Rahmen einer Masterarbeit in Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart entstanden und setzt sich durch eine experimentelle und sozialraumorientierte Herangehensweise mit der folgenden Fragestellung auseinander:
Wie kann Gestaltung in Form einer mediativen Intervention micro-politische Beteiligung in Raumproduktion ermöglichen?
Hypothese: Ein multifunktionales Stadtmöbel, das von unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Pat*innen getragen und betrieben wird, kann zur Zusammenkunft verschiedener Sozialgruppen beitragen und Synergien zwischen den Träger*innen erzeugen.

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Video-Transkription

Presseresonanz | Wir sollten uns einig sein, dass wir uns nicht einig sind und mit dieser Situation umgehen lernen.

BLICK A - Das Experiment verlief nicht ohne Reibung: „Die Konflikte sind deutlich sichtbar gewesen“, gesteht Haji. … Raiko Grieb, Bezirksvorsteher im Süden, wünscht eine „gute soziale Durchmischung. Aber es darf weder in die eine noch in die andere Richtung kippen.“ Wem gehört die Stadt? „Nicht dem Gerber, nicht dem Caleido, nicht St. Maria und nicht mir, sondern allen.“ Veronika Kienzle sieht den Ort als „Erfolgsmodell“. „Alle konnten einen Perspektivwechsel einnehmen“, sagt die Bezirksvorsteherin von Mitte. Es gehe darum, sich nicht nur gegenseitig zu dulden, sondern auch in Kontakt zu kommen, sich zu respektieren und die anderen auszuhalten. Ihr Fazit: „Das Stadtregal ist der Höhepunkt dieser Stadtentwicklung.“ (Nina Ayerle: Ein Möbelstück, das Menschen verbindet - Stuttgarter Zeitung - 12.08.2019)

BLICK B - Das Stadtregal hat verschiedene Schichten zusammengebracht – die Bilanz ist gespalten. Massiv verschlimmert hat sich die Situation für die Anwohner in den vergangenen Wochen – seit unter der Brücke das Stadtregal aufgebaut wurde. Studenten hatten dort einen Holzverschlag, der eine Mischung aus Küche und Schlafraum ist, aufgebaut – als Experiment, um verschiedene soziale Schichten zusammenzubringen. „Abends haben die sich dann um die Schlafplätze geprügelt“, sagt Hermann. (Nina Ayerle: Anwohner klagen über Lärm und Dreck - Stuttgarter Zeitung - 04.09.2019)

BLICK C - Mit ihrem Stadtregal haben Ali und Felix viel getan, um auf diese Menschen aufmerksam zu machen. Und wer näher hinsieht, kann sich von ein paar Klischeevorstellungen gleich verabschieden. Diejenigen, die oft als faul oder verwahrlost stigmatisiert werden, kümmern sich um den Platz, räumen regelmäßig auf und greifen zum Besen. Es ist ihr Wohnzimmer, sagt Felix. Andere Nutzer und Passanten lassen sich im Regelfall nicht stören. Eher gehen sich die verschiedenen Gruppen aus dem Weg. "Wir sollten uns einig sein, dass wir uns nicht einig sind", hat Ali zur Eröffnung auf den Boden geschrieben: ein Zitat der Politologin Chantal Mouffe. (Dietrich Heißenbüttel: Möbel als Brücken - Kontext - 07.08.2019)

Realexperiment Stadtregal | Ali Haji, Felix Haußmann | Sommer 2019, Stuttgart

Realexperiment Stadtregal | Bildergalerie

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