Wo gehobelt wird, fallen manchmal Späne

12.04.2023 | AgileUS-AUSflug

In die Schreinerei der Universität Stuttgart führte uns im März der dritte AgileUS-AUSflug. Neun Interessierte ließen sich von den drei Festangestellten und einem frischgebackenen Facharbeiter des Holzbetriebs im Pfaffenwaldring 7 den Arbeitsalltag zwischen Ausbildung, Gestaltung und Fertigung zeigen.

Wer hochwertige Möbel, edle Holzgestaltung und eine positive Arbeitsatmosphäre schätzt, ist beim Betrieb im Untergeschoss des Maschinenbau-Gebäudes genau richtig. Etwas verworren führt der Weg von einem Seiteneingang zu den Werkstatträumen. „Wenn man denkt, man hätte sich verlaufen, ist es genau richtig“, lautet eine Wegbeschreibung.

Herzlicher Empfang

Richtig angekommen, fällt sofort ein angenehmer Duft auf: „Oh, hier riecht es aber gut!“, sagt die Besucherin. „Ja, das ist der Kaffee“, meint Alexandra Koberstein, eine der drei festen Beschäftigten der Uni-Schreinerei. „Nee, ich meine eigentlich den Holzgeruch“, korrigiert sich die Besucherin. Die Schreinerin lacht: „Ach so. Dagegen sind wir schon lange immun.“

Duftenden Kaffee, Kekse, Sprudel und Tee haben Alexandra Koberstein, Lisa Egler, Frank Müller und Daniel Schwarz in ihrer Teamküche aufgestellt. Ein herzlicher Empfang wie für Ehrengäste. Die Besucherinnen und Besucher aus der agilen Community stärken sich und sehen so auch gleich einen ersten Anwendungsfall. Wie viele Küchen für die Beschäftigten der Universität haben die Schreinerinnen und Schreiner natürlich auch ihre eigene selbst gefertigt. Die Möbelstücke fallen durch passgenaue Verarbeitung und hochwertige Oberflächen auf.

Ein Bankraum für die Handarbeit

Mit Kaffee in der Hand beginnt die Führung gegenüber im Bankraum. „Bank“ steht für Werkbank – und das beschreibt genau den Raum, der ein bisschen an Werkstatträume aus Schulzeiten erinnert. Regentrübes Tageslicht schimmert durch die breite Glasfront; helles Halogenlicht von den Decken schafft auf den massiven Arbeitsplatten gute Sichtverhältnisse. Die hochwertige Ausstattung an Handwerkzeugen und elektrischen Handmaschinen ermöglicht es, Holz und Holzwerkstoffe auf alle mögliche Arten von Hand zu bearbeiten. Stemmeisen und Schraubendreher sind ordentlich und griffbereit in Werkzeugkisten verstaut. Eine Parade von einem Dutzend gelb-schwarzen Akkuschraubern hängt für den Einsatz. „Ja, es kommt öfter vor, dass alle Akkuschrauber im Einsatz sind“, lautet die Fach-Antwort auf eine naheliegende Frage.

Für den Einsatz sorgen in der Regel die drei Festangestellten und drei Auszubildende. Das erste Thema der Führung – deren Ablauf auf einer Holzplatte (worauf denn sonst?) für die Besuchenden sichtbar ist – ist die Vorstellung. Seit 27 Jahren ist Teamleiter Frank Müller Schreiner an der Uni Stuttgart. Seine Kolleginnen und Ausbilderinnen Alexandra Koberstein und Lisa Egler sind 8 Jahre und 7,5 Jahre dabei.

Die Universität als Ausbildungsbetrieb

Eine große Rolle spielt die Ausbildung. Pro Jahr schließt eine Person erfolgreich die Tischlerlehre ab und eine weitere beginnt die dreijährige Lehre. Aktuell hat Daniel Schwarz erfolgreich und mit Auszeichnung seine Ausbildung abgeschlossen. Er arbeitet jetzt noch ein halbes Jahr weiter in der Schreinerei als Fachkraft. Zuvor konnte er sich – wie die anderen Auszubildenden – voll auf die Prüfung konzentrieren und begibt sich nun mit mehr Ruhe auf die Stellensuche.

Die Ausbildung trägt das Land und findet in Kooperation mit der Berufsschule, der gewerblichen Schule für Holztechnik in Stuttgart Feuerbach, statt. Da die Schreinerei, wie wir sehen werden, eine umfangreiche Ausstattung an Geräten hat, können Auszubildende hier nahezu alles lernen. Dazu komme die finanzielle Unabhängigkeit des Betriebs und die Vielfalt der Aufträge. „Unsere Absolventinnen und Absolventen werden regelmäßig ausgezeichnet. Ihre Werkstücke erscheinen in renommierten Fachzeitschriften“, sagt Alexandra Koberstein nicht ohne Stolz. „Für die Aufträge brauchen wir eigenständig arbeitende Leute.“ Daniel Schwarz zum Beispiel hatte eine Lehre als Modellbauer abgeschlossen und dadurch einen extremen Erfahrungsvorteil, weswegen er seine Prüfung vorziehen konnte.

Auch wenn in der Praxis kaum noch von Hand gehobelt wird, müssen Auszubildende die Technik beherrschen.

Von der hohen Ausbildungsqualität an der Universität Stuttgart profitiere die Wirtschaft. Kleine Betriebe könnten kaum eine eigene Ausbildung stemmen. Das Land könnte daher noch viel mehr Ausbildungsplätze an der Universität ermöglichen. Für die Gäste wird auch gleich die schwierige Lage als Wettbewerber sichtbar: „Mit einer Universität verbindet man nicht unbedingt Ausbildung. Da haben wir auf Azubi-Messen regelmäßig mit Vorurteilen zu tun.“

Ein Auftrag fertig, zwei neue dazu

Indem Auszubildende in der Schreinerei unterschiedliche Materialien und Methoden kennenlernen sollen, hat auch die Universität etwas davon: Die Fertigung ist dadurch besonders hochwertig. Das wissen auch die Institute und Einrichtungen. Die Wartezeit für Ausführungen beträgt etwas über ein halbes Jahr. Bei großen Aufträgen auch länger. Frank Müller sagt zur Auftragslage: „Wenn wir einen Auftrag ausliefern, kommen gleich zwei neue rein.“ Aktuell fertigen sie in der Werkstatt unter anderem Forschungsträger für induktives Laden für ein Forschungsprojekt. Bis es bei solchen Aufträgen zu Ergebnissen kommt, führen sie etliche Planungsgespräche und stecken viel Kreativität rein.

Die Gespräche verstummen, stattdessen treten die Betriebsgeräusche in den Vordergrund, als unsere Gruppe den Maschinenraum betritt. Bis auf die Kreissäge scheinen alle gefährlichen Werkzeuge hinter Schutzvorrichtungen versteckt. „Früher hatten die Schreiner schnell mal einen Finger weniger“, sagt Lisa Egler an der verdeckten Messerwelle der Hobelmaschine. Jährliche Sicherheitsunterweisungen, bei noch nicht Volljährigen sogar halbjährliche, rufen die Verhaltensregeln immer wieder in Erinnerung. „Angst sollte man keine haben, aber Respekt“, ergänzt Alexandra Koberstein.

Geräte für alle Fälle

Wir bekommen eine kurze Einführung zu allen Maschinen. Das sind:

  • die vertikale Plattensäge für den Grobzuschnitt von Platten neben dem Liefereingang,
  • die fast eigenständig arbeitende Kantenanleimmaschine mit regenbogenbunten Vorrat an Kunststoffkantenrollen,
  • die riesige Kreissäge,
  • die computergesteuerte Fräsmaschine, die im April durch ihre Nachfolgerin ersetzt wird,
  • die Bandschleifmaschine mit endlosen Sandpapierrollen,
  • die Nesting CNC,
  • die Abricht- und Dickenhobelmaschine,
  • die Furnierpresse,
  • der Lackierraum, in dem es riecht, wie wenn man Permanentmarker zu lange offenlässt. Aus Umwelt- und Gesundheitsgründen wird das bald nicht mehr so sein: Das Schreiner-Team will auf wasserbasierte Lacke umstellen.

Mensch-Maschinen-Interaktion im Bewegtbild

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Die Sicherheits-Vorgaben sind hoch und schützen die Gesundheit der Beschäftigten.

Nun kennen wir auch den Unterschied zwischen Furnier und HPL. HPL steht für High Pressure Laminate – eine hochwertige Oberflächenbeschichtung. Sie ist pflegeleichter und robuster als Furnier. Furnier ist als Echtholzbeschichtung dafür manchmal optisch gewünscht.

Ganz im Sinne der Sicherheitseinweisung schützen wir uns die Ohren, um den kreischenden Geräten im Betrieb zusehen zu können. Ein Brett von der Dicke einer Handspanne, bei dem am Rand noch die Waldkante (Rinde) sichtbar ist, liegt die ganze Zeit schon parat. Wir sollen vor der roten Markierung am Boden stehen bleiben. Dann portionieren Frank Müller und Alexandra Koberstein das dicke Brett der Länge nach mit der großen Kreissäge in handliche Stücke. Marion und Jana dürfen nach Einweisung auch mal selbst probieren.

Daniel Schwarz (links) hat gerade mit Auszeichnung seine Ausbildung abgeschlossen.
Einblick in die geöffnete Hobelmaschine

Daniel Schwarz lässt ein Regalbrett durch die Kantenanleimmaschine laufen. So regelmäßig aufgetragen bekommt das kein Bügeleisen hin. Auch die Schleifmaschine lässt fast unbemerkt geschliffene Ergebnisse raus. Während die Fräsmaschine ein Brett ganz eigenständig nach Computervorlage löchert, zeigt Lisa Egler, wie aus sägerauen krummen Leisten mit den Hobelmaschinen in kurzer Zeit gerade winkelige Leisten mit fein gehobelter Oberfläche und dem gewünschten Querschnitt herauskommen. Erstaunlicherweise fallen hier keine Späne: Dicke Schläuche saugen alle Abfälle sofort weg. „Sonst könnten wir hier nicht mehr atmen“, sagt Lisa Egler.

Zum Schluss fallen doch noch Späne

Richtig selbst probieren darf die Gruppe bei der vorletzten Station im Bankraum. Also: Ohrenstöpsel raus, Augen auf. Von Hand ein Brett zu hobeln kostet etwas Kraft, braucht den richtigen Winkel. Und endlich gilt auch: Wo gehobelt wird, fallen doch Späne! Reihum locken die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Brettkante die typischen Holzkringel. Als Andenken dürfen wir alle mit der besonders scharfen Japansäge von Hand von einem vorbereiteten Block ein Holzstück in der Form eines Hobels absägen. Gar nicht so einfach!

Nach anderthalb Stunden schließen wir noch ein Gespräch an über Arbeitsabläufe. In der Schreinerei gibt es viel zu tun; so viel sogar, dass eigentlich eine vierte festangestellte Person benötigt wird. Gleichzeitig ist kein Tag wie der andere und kein Auftrag identisch. Das Team steht zwischen Chaos und Agilität. Allein während des Besuchs schon macht es sich bemerkbar: Lisa Egler muss eine unangekündigte Holzlieferung in Empfang nehmen. Feste gemeinsame Pausen- und Besprechungszeiten strukturieren die Tage und sind die Anker fürs Team, ansonsten ist es meistens stressig. Beim nächsten Besuch werden wir gemeinsam überlegen, mit welchen Hebeln – oder Hobeln – sich die Unplanbarkeit ebnen lassen lässt.

Was haben wir gelernt?

  • Wo gehobelt wird, fallen nur manchmal Späne.
  • Die Universität Stuttgart ist ein ausgezeichneter Ausbildungsbetrieb.
  • Sicherheitsregeln haben einen Sinn.
  • Ein gemütlicher Sozialraum und gemeinsame Pausen fördern die Zusammenarbeit.
  • Wer Aufträge hervorragend erledigt, bekommt davon weitere.
  • Um das Chaos zu beherrschen, muss man sich langsam herantasten.

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Ulrich Fries

 

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