Die Eliteakademie Chemie und Materialwissenschaft kann an den großen Erfolg im Studienjahr 2021/22 anknüpfen und diesen sogar noch übertreffen. Zur ersten Veranstaltung versammelten sich trotz Bundesfachschaftstagung, Beginn der Herbstferien in Baden-Württemberg und zahlreicher Studienfahrten der Schulen fast 140 TeilnehmerInnen – die besten Studierenden der Fakultät sowie talentierte SchülerInnen aus ganz Baden-Württemberg – im Bunsen-Hörsaal der Universität Stuttgart. Alle waren gespannt, sich von Professor Johannes Kästner vom Institut für Theoretische Chemie der Universität Stuttgart ins Weltall entführen zu lassen, denn Thema der Veranstaltung war „Astrochemie – Moleküle zwischen Sternen“.
Die Astrochemie stützt sich heute auf drei Pfeiler: neben der Beobachtung durch Astronomen, die heute aber selten vor einem Teleskop stehen, sondern Daten eher durch Radioteleskop-Observatorien wie das ALMA in Chile (Atacama Large Millimeter/submillimeter Array) sammeln lassen und am Computer auswerten, kommen als weitere Pfeiler Labor-Experimente sowie Simulationen hinzu. Bei den Labor-Experimenten werden im Hochvakuum einzelne Moleküle aufeinander geschossen und beobachtet, wie diese miteinander reagieren. Für die Simulationen werden große Rechnerkapazitäten benötigt. In Stuttgart ist dies durch den Supercomputer Hawk des Höchstleistungsrechenzentrums Stuttgart möglich, den fünftschnellsten Supercomputer innerhalb der EU (Stand Juli 2021).
Im Weltall entstehen neue Sterne und Planetensysteme aus großen Gas- und Staubwolken. Astronomisch beobachtet man diese Vorgänge nicht nur mit sichtbarem Licht, sondern auch durch Detektion von Radiowellen oder Infrarotstrahlung. In diesen Wellenlängenbereichen kann man die Rotation und Schwingung von Molekülen messen. Die neuesten Daten erhalten die Forscher dabei vom James-Webb-Weltraumteleskop, das Ende 2021 ins All gebracht wurde. So wurden bisher bereits über 250 verschiedene Moleküle in interstellaren Wolken nachgewiesen. Die meisten dieser Moleküle sind nur 2 bis 12 Atome groß. Es wurden aber auch größere Moleküle wie bspw. C60 gefunden. Neben „normalen Molekülen“ gibt es auch ungesättigte Verbindungen, Radikale und Ionen. Die häufigsten Moleküle im interstellaren Raum sind allerdings H2, CO und H2O.
Professor Kästner überraschte anschließend mit der Sichtweise von Astronomen auf das Periodensystem: dies konzentriert sich auf deutlich weniger Elemente als ein herkömmliches Periodensystem. Wasserstoff bildet dabei das am häufigsten vorkommende Element gefolgt von Helium. Weiterhin sind in diesem dezimierten Periodensystem noch die Elemente Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Neon, Magnesium, Silicium, Schwefel, Argon und Eisen zu finden.
Wie können Moleküle im interstellaren Raum aber detektiert werden? Dies geschieht mit spektroskopischen Methoden. Moleküle rotieren in der Gasphase. Da die Rotationsenergien gequantelt sind, können charakteristische Spektrallinien im Mikrowellenbereich der Wellenlänge von 1 mm bis 1 m beobachtet werden. Dies ist aber nur für polare Moleküle möglich. Weitere Analysemethoden sind Schwingungsspektroskopie im Infrarotbereich und elektronische Spektren im sichtbaren und ultravioletten Bereich.
Reaktionen von Molekülen im interstellaren Raum können vor allem auf Oberflächen von Staubpartikeln aus Ruß oder Sand, die von einer Eisschicht überzogen sind, stattfinden. Hier binden die Moleküle an der Oberfläche und können miteinander reagieren. Die Temperaturen in interstellaren Wolken sind aber mit etwa 10 K sehr niedrig und die Teilchendichte ist ebenso sehr gering. Reaktionsgeschwindigkeiten sind bei Temperaturen von 10 K gering. Der Ablauf kann aber durch den Tunneleffekt, mit dem sich auch Professor Kästner in seiner Forschung beschäftigt, ermöglicht werden. Hierbei können Quantenteilchen Energiebarrieren überwinden, die höher sind als ihre eigene Energie. Um diesen Effekt für die TeilnehmerInnen anschaulich zu machen, bediente sich Professor Kästner eines Vergleichs: wenn man einen Ball gegen eine Wand wirft, prallt er ab und fliegt zurück. Nun sollten sich die TeilnehmerInnen vorstellen, dass der Ball so klein wie ein Atom wäre und die Wand den Regeln der Quantenphysik gehorcht. Dann würde der Ball hin und wieder einfach durch die Wand wie durch einen Tunnel hindurchfliegen – nur wann, weiß keiner…
Zum Schluss stellte Professor Kästner noch die Frage nach außerirdischem Leben. Es gibt 100 bis 1000 Milliarden Sterne in unserer Galaxie und ebenso viele Galaxien im Universum. Das macht etwa 10 bis 1000 Trilliarden Sterne insgesamt – oder wie der Chemiker sagt: etwa 1 Mol. Wie wir heute wissen, besitzen viele davon ein Planetensystem oft mit Monden, vielleicht sogar die meisten davon. Ist nun auf einem dieser Planeten oder Monde Leben möglich? Auf der Erde finden wir auch in unwirtlichen Gegenden Leben: bei bis zu 90 °C Blaualgen, in der Antarktis bei ca. -20 °C wurden Bakterienkolonien gefunden, Mikroben wachsen auf Salzkristallen in der Wüste und in Black Smokern bei 300 bar und mehr als 400 °C wurden ebenfalls Bakterienkolonien entdeckt. Ob es nun aber auch außerirdisches Leben gibt, darauf hat auch Professor Kästner keine Antwort und überließ dies der Phantasie seiner ZuhörerInnen, die sich rege an der abschließenden Diskussion beteiligten.
Die Eliteakademie Chemie und Materialwissenschaften bietet den talentierten TeilnehmerInnen auch in den kommenden Monaten ein spannendes und herausforderndes Programm, in dem sie ihre wissenschaftlichen Kompetenzen ausbauen können und Einblicke in aktuelle Forschungsthemen erhalten.
Die Eliteakademie Chemie und Materialwissenschaft ist ein Projekt der School for Talents an der Universität Stuttgart, die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert wird.