Berichte aus der aktuellen Forschung an der Universität Stuttgart – Chitin als nachhaltiger Werkstoff

18. November 2022

Ausgestattet mit einem von der Carl-Zeiss AG gesponsorten Notizbuch und Stift strömten die mehr als 140 TeilnehmerInnen der Eliteakademie Chemie und Materialwissenschaft am 18. November 2022 in den Hörsaal V55.02, um dort zu erfahren, was es mit dem von der Carl-Zeiss Stiftung mit fast 2 Millionen Euro geförderten Projekt „Chitinfluid“ auf sich hat. Auch Professorin Dr. Sabine Laschat zeigte sich hochbeeindruckt von dem sich immer weiter füllenden Hörsaal. Mit ihrem Team hatte Frau Professorin Laschat nicht nur verschiedene Exponate und Experimente auf den Labortischen des Hörsaals aufgebaut, sondern auch alle Sitzplätze mit Gummibärchen und einem kleinen Quiz bestückt. 

In diesem Quiz sollten die TeilnehmerInnen zunächst einmal einschätzen, welche Stoffe Chitin enthalten. Zur Auswahl standen Äpfel, Kräuter-Seitlinge, Soldatenfliegenlarven, Basilikum, Insekten, Hefe, Austern, Algen, Schmetterlingsflügel und eben auch Gummibärchen. Alle diese Dinge hatte Frau Laschat zur Ansicht mitgebracht und einer ihrer Doktoranten hatte selbst die Mühe nicht gescheut, aus einem universitätsnahen Tümpel Algen zu holen.

Nun wurde zunächst das Biopolymer Chitin näher betrachtet. Chitin ist ein Polysaccharid, in dem die Monomere N-Acetylglucosamin durch β-1,4-glycosidische Bindungen miteinander verknüpft sind. Aufgrund des Polymerisationsgrades, der zwischen 300 und 150000 Monomeren liegt, gibt es eigentlich „viele Chitine“ mit unterschiedlichen Eigenschaften. Nach Cellulose ist Chitin das zweihäufigste Biopolymer, von dem die Biosphäre (v.a. Pilze, Häutungstiere, Weichtiere und Kieselalgen) jährlich mehr als 1010 Tonnen produziert. Industriell genutzt wird beispielsweise der Schimmelpilz Aspergillus niger bei der Herstellung von Zitronensäure. Dieser Pilz enthält Chitin als Bestandteil seiner Zellwand. Betrachtet man Meerestiere wie Krabben, Garnelen oder Krebse fällt auf, dass Chitin oft im Verbund mit CaCO3 vorkommt. Hier liegt ein Komposit- oder Hybridmaterial vor, bei dem Kalkkristalle wie durch einen Mörtel aus Chitin und Keratin zusammengehalten werden, was die Schlagzähigkeit von bspw. Muschelschalen bewirkt. Somit zeigt Chitin in der Natur interessante Eigenschaften wie Stütz- und Schutzfunktionen, ist weiterhin aber auch biologisch abbaubar, antibakteriell und wasserabweisend. 

Aus Chitin kann durch partielle saure Hydrolyse und anschließende Neutralisation mit NaOH Chitosan gewonnen werden, ein Polymer, das anstelle der N-Acetyl-Gruppen freie Amin-Gruppen besitzt. Um die Eigenschaften zu verdeutlichen führte nun Michael Müller, ein Mitarbeiter des Arbeitskreises von Frau Professorin Laschat, Lösungsversuche vor. Während sich Mais-Stärke in heißem Wasser vollständig löst, zeigt übliche käufliche Haushaltsstärke nur eine teilweise Löslichkeit, Cellulose ist nicht löslich. Ähnlich verhält es sich mit Chitin und Chitosan. Während Chitosan in einer Lösung aus Wasser und Essigsäure gelöst werden kann, ist Chitin darin unlöslich.

Und genau dieses Lösungsverhalten von Chitin ist es, was die Forschungsgruppe aus sechs Instituten um Frau Professorin Sabine Laschat an der Universität Stuttgart genauer untersuchen möchte. Ziel ist es, aus Chitin und seinen Derivaten in einem wasser-basierten Prozess Werkstoffe zu entwickeln, die dann für Spezialanwendungen im Bauwesen geeignet sind und den Energieverbrauch der Bauindustrie nachhaltig senken sollen. Schließlich ist der Bausektor für mehr als 40 % des globalen Energieverbrauchs, 35 % der CO2-Emissionen und 45 % des globalen Ressourcenverbrauchs verantwortlich. Nachhaltige Baustoffe werden somit immer wichtiger. Chitin-basierte Materialien könnten hier zu einem sinkenden Energieverbrauch in Gebäuden und beim Gebäudebau beitragen und sind außerdem umweltfreundlich, da sie biogen und kompostierbar sind. Um diese Baustoffe zu entwickeln, muss aber zunächst ein Weg gefunden werden, Chitin in Lösung zu bringen und entsprechend weiterzuverarbeiten.

Am Ende des Vortrags wurde noch das Quiz aufgelöst. Außer den Äpfeln, dem Basilikum und den Gummibärchen enthielten alle weiteren genannten Objekte Chitin. Nach diesen interessanten Einblicken lud Frau Professorin Laschat die ZuhörerInnen ein, nach vorne zu kommen, mit den MitarbeiterInnen zu diskutieren und sich die Exponate aus der Nähe anzusehen. Dieses Angebot nahmen die TeilnehmerInnen zahlreich war. Ein besonderer Dank gilt Frau Nina Oehlsen (Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie) und Herrn Tongyu Xu (Institut für Werkstoffe im Bauwesen), die unermüdlich die Fragen der interessierten SchülerInnen und Studierenden beantworteten. Ebenso geht ein großer Dank an Herrn Michael Müller (Institut für Organische Chemie) für die Vorführung der Experimente, Herrn Andreas Greulich (Institut für Organische Chemie) für Betreuung der Technik, Herrn Dr. Michael Schweikert (Institut für Biomaterialien und Biomolekulare Systeme) für die Bereitstellung der biologischen Präparate und Stereolupen, Frau Dr. Anna Zens (Institut für Organische Chemie) für Design & Layout und Herrn Dr. Linus Stegbauer (Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie) für die Bereitstellung von Folien und Ideen.
 
Die Eliteakademie Chemie und Materialwissenschaft ist ein Projekt der School for Talents an der Universität Stuttgart, die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder gefördert wird.

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