Städtische Transformationen: Klima und Vulnerabilität – heute und im Jahr 2031
Rege Beteiligung im Senatssaal der Universität Stuttgart
Am 15. und 16. Oktober 2019 fand der Abschluss- und Validierungsworkshop zum BMBF geförderten ZURES-I-Projekt im Senatssaal der Universität Stuttgart statt. Die Abkürzung ZURES steht dabei für „Zukunftsorientierte Vulnerabilitäts- und Risikoanalyse als Instrument zur Förderung der Resilienz von Städten und urbanen Infrastrukturen“. Bei dem Projekt geht es u.a. um die grundlegende Frage, was sinnvolle Informationsgrundlagen für eine nachhaltige und resiliente Stadtentwicklung sind, insbesondere in Bezug auf Resilienz gegenüber Hitzestress. Bisher werden vielfach Klimaanalysen und -szenarien zur Ermittlung von Risiken und Anpassungsbedarfen als Informationsgrundlage genutzt. Ganz innovativ ist diese Praxis allerdings nicht, so der Verbundkoordinator des ZURES-Projekts Prof. Dr.-Ing. Jörn Birkmann, da es beispielsweise unwahrscheinlich ist, dass die Bevölkerung in den Jahren 2030 oder 2050 die gleiche wie 2019 sein wird. Daher zielt das ZURES-Projekt auf die Entwicklung von kleinräumigen Vulnerabilitäts- und Risikoabschätzungen, die sowohl eine Weiterentwicklung der Klimamodellierung beinhaltet als auch methodisch innovative Szenariotechniken zur Beschreibung zukünftiger Verwundbarkeit gegenüber Hitzebelastungen vorantreibt. Im Rahmen der Veranstaltung in Stuttgart – einem Hitzehotspot in Deutschland – wurden diese neuen Erkenntnisse des ZURES-Projekts auf ihre Innovationskraft für die wissenschaftliche Diskussion, aber auch auf ihre Anwendbarkeit in der Praxis rege diskutiert.
Neue Klimamodellierung bringt erhebliche Verbesserungen für Städte und ist direkt nutzbar
Nach einer kurzen Vorstellung des Projektes präsentierten Mitglieder der GEO-NET Umweltconsulting GmbH ihre Klimaanalysen für die ZURES-Modellstädte Bonn und Ludwigsburg. Darinwurde insbesondere verdeutlicht, dass die Hitzebelastung in Städten durch den fortschreitenden Klimawandel, aber auch durch weitere Veränderungsprozesse, wie z.B. das Wachstum der Städte (neue Siedlungsflächen) verstärkt wird. In diesem Kontext wurde auch eine neue Modellierungsmethode (Deltamethode) als innovativer Ansatz in der kleinräumigen Klimamodellierung vorgestellt und diskutiert. Dabei werden aufbauend auf dem Klimaanalysetool FITNAH unterschiedliche Indikatoren wie Lufttemperatur, Bioklima-Indices oder Parameter der Kaltluftproduktion und -dynamik berechnet. Neben dem Ist-Zustand in der Gegenwart können mit der Deltamethode unterschiedliche Szenarien des zukünftigen Stadtklimas berechnet werden, die auch den geplanten Landnutzungswandel (z.B. neue Wohnbauflächen) auf städtischer Ebene berücksichtigen. In den Modellstädten konnte dies kleinräumig mit einer räumlichen Auflösung von bis zu 10x10m für das Szenario schwacher Klimawandel (RCP 2.6) und starker Klimawandel (RCP 8.5) realisiert werden. Dies ermöglicht einen direkten Vergleich der räumlichen Ausprägung der Klimaanalyse von Gegenwart und Zukunft. Gleiches gilt für die Planungshinweiskarten, die auf Grundlage bewerteter Klimaparameter Planungsempfehlungen für die Tagsituation und die nächtliche Situation ausgeben. Gegenüber den bislang üblichen Kenntagen für die Szenarien als Parameter der Stadtklimaänderung (z.B. heiße Tage oder Tropennächte) – die aber z.T. kleinräumig nicht visualisiert werden konnten – ermöglicht diese Methode einen direkten Vergleich des Stadtklimas. Dadurch ist sogar eine Zuschreibung der Hitzebelastung infolge des Klimawandels bzw. des Landnutzungswandels möglich.
Szenarien der gesellschaftlichen Vulnerabilität gegenüber Hitzestress bieten Mehrwert für ganzheitliche Anpassungsstrategien
Hitzebedingte Belastungen betreffen insbesondere die Gesundheit des Menschen. Zudem sind die Kapazitäten sich an die Hitzebelastung anzupassen bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterschiedlich – beispielweise aufgrund ihrer finanziellen Ausstattung oder Wohnsituation. Daher ist es wichtig Anpassungsstrategien nicht nur auf Basis der Klimaanalysen und -szenarien, sondern auch vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Verwundbarkeitsszenarien zu formulieren. Infolge des demographischen Wandels ist davon auszugehen, dass zukünftig der Anteil der älteren Menschen ansteigen wird. Eine neue Methode zur kleinräumigen Abschätzung der Vulnerabilität mittels Szenarien und ausgewählter Indikatoren wurde vorgestellt und diskutiert. Innovativ ist der Ansatz insbesondere dadurch, dass das Thema Verwundbarkeit nicht nur auf die demographische Entwicklung, sondern auch mit sozio-ökonomischen Fragen der zukünftigen Wohnbevölkerung gekoppelt wurde. Die verschiedenen Vulnerabilitätsszenarien können zudem mit verschiedenen Klimaszenarien verbunden werden, sodass der Einfluss der jeweiligen Faktoren je Szenario-Kombination deutlich wird. Beispielsweise lässt sich so ermitteln, welche potenziellen Wirkungen zukünftige Wohnbaupolitiken auf bestimmte Stadtviertel und ihre Zusammensetzung haben können. Auch die Frage, welche Handlungsansätze vor dem Hintergrund verschiedener Vulnerabilitäts- und Klimaszenarien wirkungsvoll und sinnvoll sind, lässt sich so beantworten. Damit gehen diese Methoden deutlich über die bisherigen Ansätze hinaus, die vielfach – wenn überhaupt – nur eine bestimmte Zukunft (einen Zeitpunkt in der Zukunft) betrachtet haben.
Der Mehrwert der kleinräumigen Vulnerabilitätsanalysen wurde für die Gegenwart und Zukunft (Szenarien) diskutiert und mit praktischen Beispielen aus der Forschung durch das Institut für Raumordnung und Entwicklungsplanung der Universität Stuttgart sowie das Institut für Raumplanung der TU Dortmund skizziert. Zudem machten Beiträge der United Nations University in Bonn, der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der agl Hartz • Saad • Wendl, Landschafts-, Stadt- und Raumplanung, Saarbrücken deutlich, dass zahlreiche Städte bisher eine integrative Betrachtung von Klima- und gesellschaftlichen Wandel beim Thema Anpassung noch nicht vollzogen haben, aber diesen Bedarf deutlich sehen – wie u.a. die Ergebnisse der Online-Umfrage im ZURES Projekt bei Mittelstädten in Deutschland zeigen.
Intensiver Dialog über rechtliche Vorgaben, Anwendungsmöglichkeiten in Wissenschaft und Praxis
Neben der Darstellung der zentralen Befunde des ZURES-I-Projektes stand im Rahmen der Veranstaltung ein offener Diskurs über die Anwendungsmöglichkeiten der Klima- und Verwundbarkeitsanalysen im Fokus. Impulsvorträge zur Umweltgerechtigkeit sowie zur planungsrechtlichen Perspektive der urbanen Hitzebelastung und damit der Verwundbarkeit im Kontext des Klimawandels (BauGB-Novelle) förderten einen informierten Austausch unter Praxis und Forschung. Insbesondere der Einsatz sozialökologischer Verwundbarkeitsindikatoren und Indikatoren der Umweltgerechtigkeit in der räumlichen Planung wurde intensiv und durchaus auch kontrovers diskutiert. Anhand der ZURES-Modellstädte und anderer Praxisbeispiele aus Stuttgart, Esslingen, Karlsruhe, Freiburg, Erfurt und Berlin konnten in offenen Gesprächsrunden Chancen und Hemmnisse einer integrativen Perspektive (Verwundbarkeit + Klima) und mögliche planerische Instrumente zur Förderung der Anpassung an Hitzestress in der Stadtentwicklung aufgezeigt werden. Als Ergebnis des Dialogs lässt sich festhalten, dass sich der Einsatz von Verwundbarkeitsszenarien erst noch etablieren muss, während der Einsatz von Klimaszenarien für die weitere Stadtentwicklung bereits ein Standardvorgehen ist. Dies ist auch ein wichtiger Hinweis dafür, dass es einer Verstetigung der methodischen Innovationen von ZURES Produkten und Methoden in Planungsprozessen bedarf, aber auch wie essentiell ein stetiger Austausch zwischen Praxis und Wissenschaft ist. Unbeschadet dessen betonte der Koordinator des ZURES-I-Projekts zum Abschluss, dass die Methodeninnovationen von ZURES bereits für andere Projektanträge weiterentwickelt und genutzt wurden, u.a. für die erfolgreiche Einwerbung eines ERC-Synergy Grant.
In der Fördermaßnahme „Nachhaltige Transformation urbaner Räume" erforschen 23 transdisziplinäre Verbundprojekte Zukunftsfragen der Stadtentwicklung, u.a.: Wie können Städte den Wandel zu nachhaltigen Wirtschaftsstrukturen fördern? Wie lassen sich soziale Integration und ökologische Nachhaltigkeit gut verbinden? Die Fördermaßnahme bildet den sozial-ökologischen Schwerpunkt in der Leitinitiative Zukunftsstadt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Die Zukunftsstadt ist lebenswert, CO2-neutral, klimaangepasst, energie- und ressourceneffizient. Mit der Leitinitiative Zukunftsstadt unterstützt das BMBF Kommunen dabei, durch Forschung und Innovation lokal passende Wege zu diesen Nachhaltigkeitszielen zu finden.
Ergebnisse der ZURES Onlinebefragung: ZURES Working Paper 1, 12/2017